(Max Klinger nach Arnold Böcklin - Die Toteninsel (Radierung und Aquatinta 1890)
1. Was sollten wir fürchten?
Von Wiedergängern, Nachzehrern, Neuntötern und ihren Opfern
Unter Wiedergängern verstand man ursprünglich diejenigen Toten, die abweichend von allen üblichen Riten bestattet worden waren. „Erhielten sie nicht die richtigen Beigaben oder Opfer, wurde die Blutrache nicht vollzogen, wurde überhaupt bei Bestattung, Klage, Kult oder Trauer etwas vernachlässigt, oder konnte die Leiche überhaupt nicht gefunden und begraben werden ..., so erschien der Tote mahnend und strafend. Die Begräbnisriten sollten ihm Genugtuung verschaffen, manche sollten auch abwehrend wirken. Bei einzelnen Toten waren aber diese Maßnahmen nicht wirksam: bei besonders mächtigen oder bösartigen Menschen oder bei solchen, die eines „schlechten" oder vorzeitigen Todes gestorben waren. Dies sind nun die eigentlichen Wiedergänger und dadurch von gewöhnlichen Toten unterschieden, daß sie länger als üblich wiedererschienen, und daß sie meist einen bösen Charakter haben.“ […] Nicht selten liegt die Betonung auf den sogenannten „bösen“ Toten, und auch ganz spezielle Gruppen erfahren in diesem Zusammenhang eine Erwähnung. So handelt es sich nach den Quellen oft um Räuber, um hingerichtete, aber nicht ordnungsgemäß bestattete Verbrecher, um Selbstmörder, um totgeborene und ungetaufte Kinder oder um Frauen, die während des Kindbetts verstorben waren.
Der sogenannte Nachzehrer muß als eine besondere Art von Wiedergänger betrachtet werden. Er zehrt im Grabe liegend mit dem Mund an Teilen seines eigenen Körpers, an Textilien und dergleichen und zieht so durch rein sympathische Wirkung seine Opfer nach. Als Gründe für dieses Verhalten werden wiederum Bosheit des Toten, seine Gier nach Leben oder eine fortwährende Verbundenheit mit den Angehörigen genannt. Aber auch ein Gegenstand, der einem Lebenden gehört und ins Grab gelangt ist, könnte den Tod des Besitzers nach sich ziehen. Magdalena Sybilla Reichsgräfin von Rochlitz, die Maitresse des Kurfürsten Johann Georg IV., starb am 4. April 1694 an Pocken. Nur zwanzig Tage später verschied auch der Kurfürst an selbiger Krankheit. Der neue Kurfürst ließ kurze Zeit später das Grab der Gräfin öffnen, „um ihr ein aus dem Haar Johann Georgs geflochtenes Armband abzunehmen. Die Mutter der Gräfin wurde später unter anderem deswegen angeklagt, weil sie mit Hilfe des mitbestatteten Haarbandes den Tod des Kurfürsten gefördert habe.“
Weitere Varianten des Nachzehrers sind die sogenannten Neuntöter. Hierunter werden Kinder, die mit Zähnen oder mit einer doppelten Reihe von Zähnen zur Welt gekommen,geführt. Sie sterben früh, ziehen aber ihre nächsten neun Verwandten nach sich und werden oft für die Pest verantwortlich gemacht.
2. Wie können wir uns schützen?
Antivampiristische Vorkehrungen – Traditionelle Schutzmaßnahmen gegen Wiedergänger, Nachzehrer und Vampire
Als wohl oft praktizierte und auch durch Ausgrabungen belegbare Methode muß die Leichenversteinerung genannt werden. Das Plazieren von teilweise sehr großen Steinen auf Kopf, Brust, Beinen oder anderen Körperteilen lässt schnell eine Wiedergänger- bzw. Vampirbestattung vermuten. Es erfolgte ein „Festmachen“ des Toten, so daß ein Verlassen des Grabes unmöglich gemacht wurde. Steinhaufen, welche über potentiellen Wiedergängern errichtet wurden, sind auch aus den isländischen Sagas überliefert.
Neben der Totenbannung mit Hilfe von Steinen kam auch das Prinzip der Nagelung zum Einsatz. So stellte R. Beltz bei der Bearbeitung von wendischen Gräberfeldern die bemerkenswerte These auf, daß die hier ohnehin nur in geringer Zahl gefundenen Nägel nicht von Särgen stammen, sondern dem rituellen Gebrauch zuzurechnen seien. Genau wie bei der Verwendung von Steinen sollte der Tote am Verlassen des Grabes gehindert werden, wobei entweder lediglich die Kleidung oder auch - in extremeren Fällen - Hände und oder Füße am Sargboden fixiert wurden.
Durch in den Mund des Toten gelegte Steine, Metallstücke, Tonziegelscherben, Münzen oder ähnliches war es ebenso möglich, den Nachzehrer am Verlassen des Grabes zu hindern. Zur Verwendung gelangten unvergängliche Materialien, so daß der Tote nie Mangel an Verzehrbarem hatte und somit auch kein Grund bestand, sein Grab zu verlassen. Besonders die angeführten Münzen bzw. ihre Spuren sind im archäologischen Befund oft vertreten, so beispielsweise auf dem bekannten Silberberg bei Wollin oder in Niedersedlitz bei Dresden, wo der Unterkiefer eines Kindes einen sogenannten Wendenpfennig barg. […] Neben ihrer Funktion im Kampf gegen Vampire und Wiedergänger sind jedoch bei solchen Münzbeigaben auch andere Deutungsmöglichkeiten vorstellbar. Der aus der Antike bekannte griechische Charonsgedanke, der in der Münze den notwendige Obulus zur Fahrt ins Jenseits sieht, muß hier Erwähnung finden. Allerdings nimmt R. Grenz an, daß sich beide Motive nicht grundsätzlich ausschließen müssen, denn das „Fährgeld“ sollte ja auch das Verlassen des Reiches der Lebenden ermöglichen.
Legte man den „lebenden Leichnam“ mit dem Gesicht nach unten ins Grab, blieb der Mund verschlossen und die Seele konnte nicht durch ihn entweichen. Auf diese Weise wurde verhindert, den Toten zu einem Wiedergänger werden zu lassen.
Das Zerstückeln der Toten, das Abschlagen des Kopfes und das Pfählen waren weitere Möglichkeiten zur Bekämpfung des Vampir- bzw. Wiedergängertums. Gerade aus volkskundlicher wie auch aus völkerkundlicher Sicht wird das Pfählen eines Toten als Vorkehrung genannt, die sein „Wiederkommens“ verhindern soll.
3. Was ist der Ursprung? - Biologische Erklärungsmuster
„Bereits im 17. Jahrhundert vermutete man, was modernen Hygienikern zur Sicherheit wurde“, daß nämlich all diese [vampirartige] Erscheinungen mit Abläufen des Verwesungsprozesses in Zusammenhang stehen und speziell auf Fäulnis bedingte Gasbildung im Körper des Verstorbenen zurückzuführen sind. Diese hat auch bei vorher mageren Toten einen „fetten und vollkommenen“ Leib zur Folge. Es sammelt sich in der Brusthöhle blutuntermengte Fäulnisflüssigkeit, die dann durch den Gasdruck aus Mund und Nase entweicht und den Eindruck erweckt, der Leichnam blute noch ganz frisch, auch gebe er Geräusche von sich. Beim Pfählen vermeintlicher Vampire entstandene „Töne“ können auf ein Zusammenpressen des Brustkorbs und einer hieraus resultierenden Bewegung der Stimmbänder zurückgeführt werden. Postmortaler Flüssigkeitsverlust führt zu einem Einsinken der Haut, so daß Haare und Nägel deutlicher hervortreten und den Anschein erwecken, sie seien im Grab noch gewachsen. Abgesehen von solchen Eintrocknungs-erscheinungen kommt es etwa am Ende der zweiten Fäulniswoche dazu, daß sich die Oberhaut mitsamt ihren Anhangsgebilden, den Nägeln, ablöst; danach liegt die rosig und feucht anmutende Lederhaut frei und ebenso die Nagelbetten, wodurch dem oberflächlichen Betrachter das Vorhandensein „zarter, gepflegter, neuer Nägel
vorgetäuscht werden kann.“
Ich habe bei der Lektüre viel gelernt, darum teile ich nun
ANNETT STÜLZEBACHS "Vampir- und Wiedergängererscheinungen aus volkskundlicher und archäologischer Sicht" in Auszügen mit euch (vollständige digitale Textversion: http://cma.gbv.de/dr,cma,001,1998,a,06.pdf)
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