Freitag, 14. Oktober 2011

Ein Text - Verschiedene Lektüren



"Ein und derselbe Text erlaubt verschiedene Lektüren - ehrerbietige Lektüren, Lektüren, die nachzeichnen und sezieren, Lektüren, die das Rascheln unerhörter Töne vernehmen, und solche, die zum Vergnügen oder zur Belehrung triste kleine Pronomen zählen und eine Zeitlang nichts von golden oder von Äpfeln mitbekommen. Es gibt persönliche Lektüren, die sich persönliche Bedeutungen zusammenklauben: Liebe, Widerwillen, Angst, die den Leser beherrschen und ihn nach den entsprechenden Gefühlen suchen lassen. Und es gibt tatsächlich unpersönliche Lektüren, bei denen das geistige Auge die Zeilen verfolgt und das geistige Ohr sie singen hört. Hin und wieder gibt es Lektüren, die dem Leser buchstäblich die Haare zu Berge stehen lassen, wo jedes einzelne Wort lodert und leuchtet - hart und klar, unendlich und unmißverständlich, wie feurige Steine, wie Sternenfunkeln im Dunkeln."(Antonia S. Byatt: Besessen)

(Bildquelle: womenreading.tumblr.com)

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