Samstag, 31. März 2012

Ein Blick ins Buch der Rätsel...


Es kam ein Vogel federlos,
saß auf dem Baume blattlos,
da kam die Jungfrau mundlos
und fraß den Vogel federlos
von dem Baume blattlos.









(Bildquelle: thisisnthappiness.tumblr.com, Lösung: Schnee und Sonne)

Herr Pineiß war ein Kann-Alles

"Herr Pineiß war ein Kann-Alles, welcher hundert Ämtchen versah, Leute kurierte, Wanzen vertilgte, Zähne auszog und Geld auf Zinsen lieh; er war der Vormünder aller Waisen und Witwen, schnitt in seinen Mußestunden Federn, das Dutzend für einen Pfennig, und machte schöne schwarze Dinte; er handelte mit Ingwer und Pfeffer, mit Wagenschmiere und Rosoli, mit Häftlein und Schuhnägeln, er renovierte die Turmuhr und machte jährlich den Kalender mit der Witterung, den Bauernregeln und dem Aderlaßmännchen; er verrichtete zehntausend rechtliche Dinge am hellen Tag um mäßigen Lohn und einige unrechtliche nur in der Finsternis und aus Privatleidenschaft, oder hing auch den rechtlichen, ehe er sie aus seiner Hand entließ, schnell noch ein unrechtliches Schwänzchen an, so klein wie die Schwänzchen der jungen Frösche, gleichsam nur der Possierlichkeit wegen. Überdies machte er das Wetter in schwierigen Zeiten, überwachte mit seiner Kunst die Hexen, und wenn sie reif waren, ließ er sie verbrennen; für sich trieb er die Hexerei nur als wissenschaftlichen Versuch und zum Hausgebrauch, so wie er auch die Stadtgesetze, die er redigierte und ins reine schrieb, unter der Hand probierte und verdrehte, um ihre Dauerhaftigkeit zu ergründen. Da die Seldwyler stets einen solchen Bürger brauchten, der alle unlustigen kleinen und großen Dinge für sie tat, so war er zum Stadthexenmeister ernannt worden und bekleidete dies Amt schon seit vielen Jahren mit unermüdlicher Hingebung und Geschicklichkeit, früh und spät" (Gottfried Keller: Spiegel, das Kätzchen. Ein Märchen).

(Bild: Edmund Dulac: Der Alchimist)

Samstag, 24. März 2012

Gedichts-verhandlung IX - Hugo Ball: Der Literat

Der Literat

Ich bin der große Gaukler Vauvert.
In hundert Flammen lauf ich einher.
Ich knie vor den Altären aus Sand,
Violette Sterne trägt mein Gewand.
Aus meinem Mund geht die Zeit hervor,
Die Menschen umfaß ich mit Auge und
Ohr.

Ich bin aus dem Abgrund der falsche
Prophet,
Der hinter den Rädern der Sonne steht.
Aus dem Meere, beschworen von dunkler
Trompete,
Flieg ich im Dunste der Lügengebete.
Das Tympanum schlag ich mit großem Schall.
Ich hüte die Leichen im Wasserfall.

Ich bin der Geheimnisse lächelnder Ketzer,
Ein Buchstabenkönig und Alleszerschwätzer.
Hysteria clemens hab ich besungen
In jeder Gestalt ihrer Ausschweifungen.
Ein Spötter, ein Dichter, ein Literat
Streu ich der Worte verfängliche Saat.

(Bildquelle: Travis Louie’s Curious Pets)

Freitag, 23. März 2012

Kafka am Strand

Kafka am Strand

Wenn du am Rande der Welt stehst,
bin ich in einem toten Vulkan.
Im Schatten der Tür stehen
Worte, die ihre Zeichen verloren.

Schlafende Eidechsen im Mondschein,
vom Himmel ein Regen kleiner Fische
Draußen vor dem Fenster stehn Soldaten,
die Herzen gehärtet.

Auf einem Stuhl am Strand sitzt Kafka
und denkt das Pendel, das die Welt bewegt.
Wenn der Kreis des Herzens sich schließt,
wird der Schatten der ertarrten Sphinx
zum Messer und
durchbohrt deinen Traum.

Die Finger des ertrunkenen Mädchens
betasten den Stein am Eingang.
Sie hebt den Saum ihres blauen Kleides
und sieht Kafka am Strand.

(Liedtext: Haruki Murakami, Bild: Quint Buchholz)

Sonntag, 11. März 2012

Die einzig vernünftige Methode des Lernens

"Ist das nicht die einzig vernünftige Methode des Lernens? Mehr in sich hineinzustopfen, als man verträgt? Informationen aufzusaugen wie ein durstiger Schwamm? Lehrstoff aufzutanken wie ein Wüstenkamel, das sich für die weite Reise wappnet? Nur so kann man herausfinden, was man wirklich benötigt, was sich als Gedankenfett und Ideenschmalz festsetzt in den Gehirnwindungen. Und dann jenes unerschöpfliche Reservoir bildet, von dem man ein Leben lang zehrt. Jedes ernstgemeinte Studium ist eine Orgie, ein Bacchanal der Informationszufuhr. Von dem man nachher den größten Teil wieder vergisst, wie bei jedem Exzess. Auf das, was hängen bleibt, kommt es an - aber man weiß ja vorher nie, was das sein wird. Also rein damit! Von streng organisiertem und systematischem Studium nach dem Lehrbuch habe ich nie etwas gehalten. Erst wenn man eine Bibliothek angelegt hat, kann man sie alphabetisch ordnen" (Walter Moers: Das Labyrinth der träumenden Bücher).

(Kupferstich: Das menschliche Denken)