Sonntag, 27. November 2011

1. Advent


Advent

Es blaut die Nacht, die Sternlein blinken,
Schneeflöcklein leis herniedersinken.
Auf Edeltännleins grünem Wipfel
häuft sich ein kleiner weißer Zipfel.
Und dort vom Fenster her durchbricht
den dunklen Tann ein warmes Licht.
Im Forsthaus kniet bei Kerzenschimmer
die Försterin im Herrenzimmer.
In dieser wunderschönen Nacht
hat sie den Förster umgebracht.
Er war ihr bei des Heimes Pflege
seit langer Zeit schon sehr im Wege.
So kam sie mit sich überein:
am Niklasabend muß es sein.
Und als das Rehlein ging zur Ruh',
das Häslein tat die Augen zu,
erlegte sie direkt von vorn
den Gatten über Kimm und Korn.
Vom Knall geweckt rümpft nur der Hase
zwei-, drei-, viermal die Schnuppernase
und ruhet weiter süß im Dunkeln,
derweil die Sternlein traulich funkeln.
Und in der guten Stube drinnen
da läuft des Försters Blut von hinnen.
Nun muß die Försterin sich eilen,
den Gatten sauber zu zerteilen.
Schnell hat sie ihn bis auf die Knochen
nach Waidmanns Sitte aufgebrochen.
Voll Sorgfalt legt sie Glied auf Glied
(was der Gemahl bisher vermied) -,
behält ein Teil Filet zurück
als festtägliches Bratenstück
und packt zum Schluß, es geht auf vier,
die Reste in Geschenkpapier.
Da tönt's von fern wie Silberschellen,
im Dorfe hört man Hunde bellen.
Wer ist's, der in so tiefer Nacht
im Schnee noch seine Runde macht?
Knecht Ruprecht kommt mit goldnem Schlitten
auf einem Hirsch herangeritten!
He, gute Frau, habt ihr noch Sachen,
die armen Menschen Freude machen?
Des Försters Haus ist tiefverschneit,
doch seine Frau steht schon bereit:
Die sechs Pakete, heil'ger Mann,
's ist alles, was ich geben kann.
Die Silberschellen klingen leise,
Knecht Ruprecht macht sich auf die Reise.
Im Försterhaus die Kerze brennt,
ein Sternlein blinkt - es ist Advent.

Loriot



(Textquelle: http://www.personal.uni-jena.de/~dps/advent.html,
Bild: Matthias Stomer (1600-1650): Lesender junger Mann bei Kerzenlicht)

Freitag, 25. November 2011

Become someone else






(Become someone else by Love Agency for Mint Vinetu Bookstore)

Dienstag, 22. November 2011

Zu viele Gedanken

"Man macht sich vielleicht zu viele Gedanken. Andererseits denke ich immer, is das besser, wenn man sich viel denkt, man lebt nicht wie eine Henne blöde vor sich hin. [...] In Schlawienschitz ist einer verrückt geworden vom Überlegen. Alles ist gut und schlecht zusammen. [...] Wenn man sich die ganze Sache richtig überlegt, hat das ganze Überlegen keinen Zweck." (Janosch - Cholonek oder Der Liebe Gott aus Lehm)

(Künstler: Grandville)

Montag, 21. November 2011

The Hidden Alphabet


(Laura Vaccaro Seeger - The Hidden Alphabet)

Montag, 14. November 2011

Herbst

"Jeder Mensch sollte eine dunkle Baumkrone vor dem Fenster haben oder ein schwarzes Schieferdach auf der anderen Straßenseite, irgendetwas, auf das er starren kann, um herauszufinden ob es regnet. Wir brauchen ein Grundrecht auf Schwärze. Ich werde mich dafür einsetzen. Die Nacht wurde erfunden, damit wir uns Stück für Stück an die Dunkelheit gewöhnen. Der Schlaf wurde erfunden, damit wir uns Nacht für Nacht an den Tod gewöhnen. Mach das Licht aus. Manchmal ergibt sich aus langen Gedankengängen nichts weiter, als dass Herbst ist." (Juli Zeh - Corpus Delicti)

(Fotokünstler: Sarolta Ban)

Samstag, 12. November 2011

"Es war gegen Ende des November..."


"Es war gegen Ende des November, bei Tauwetter, als sich um neun Uhr morgens ein Zug der Petersburg-Warschauer Bahn mit vollem Dampf Petersburg näherte. Das Wetter war so feucht und neblig, daß das Tageslicht kaum zur Geltung kam; auf zehn Schritte konnte man rechts und links von der Bahn aus den Fenstern der Waggons nur mit Mühe etwas erkennen. Unter den Passagieren waren einige, die aus dem Ausland zurückkehrten; am meisten gefüllt waren aber die Abteile dritter Klasse, und zwar fast ausschließlich mit kleinen Geschäftsleuten, die nicht aus sehr weiter Entfernung kamen. Alle waren, wie das so zu sein pflegt, müde; allen waren während der Nacht die Augenlider schwer geworden, alle fröstelten, alle Gesichter waren gelblich, von derselben Farbe wie der Nebel."
(Fëdor Michajlovič Dostoevskij: Der Idiot)

(Bild: James Jaques-Joseph Tissot: Gentleman_im_Zugabteil)

Donnerstag, 10. November 2011

Die Einseitigkeit der Wissenschaften


"Soll ich alle diese Fähigkeiten, und alle diese Kräfte und dieses ganze Leben nur dazu anwenden, eine Insektengattung kennen zu lernen, oder einer Pflanze ihren Platz in der Reihe der Dinge anzuweisen? Ach, mich ekelt vor dieser Einseitigkeit! Ich glaube, daß Newton an dem Busen eines Mädchens nichts anderes sah, als seine krumme Linie, und daß ihm an ihrem Herzen nichts merkwürdig war, als sein Kubikinhalt. Bei den Küssen seines Weibes denkt ein echter Chemiker nichts, als daß ihr Atem Stickgas und Kohlenstoffgas ist. Wenn die Sonne glühend über den Horizont heraufsteigt, so fällt ihm weiter nichts ein, als daß sie eigentlich noch nicht da ist - Er sieht bloß das Insekt, nicht die Erde, die es trägt, und wenn der bunte Holzspecht an die Fichte klopft, oder im Wipfel der Eiche die wilde Taube zärtlich girrt, so fällt ihm bloß ein, wie gut sie sich ausnehmen würden, wenn sie ausgestopft wären. Die ganze Erde ist dem Botaniker nur ein großes Herbarium, und an der wehmütigen Trauerbirke, wie an dem Veilchen, das unter ihrem Schatten blüht, ist ihm nichts merkwürdig, als ihr linnéischer Name. Dagegen ist die Gegend dem Mineralogen nur schön, wenn sie steinig ist, und wenn der alpinische Granit von ihm bis in die Wolken strebt, so tut es ihm nur leid, daß er ihn nicht in die Tasche stecken kann, um ihn in den Glasschrank neben die andern Fossile zu setzen - O wie traurig ist diese zyklopische Einseitigkeit!" (Quelle: Brief von Heinrich von Kleist an Adolfine von Werdeck, 29.7.1801)


(Textquelle: kleist.org; Bildquelle: zeno.org)

Mittwoch, 9. November 2011

Flaschenpost


14. Februar 1873: „Nachmittag wurde Flaschenpost ausgesendet, und zwar nach Norden, Süden, Osten und Westen. Die Post wurde in Flaschen gegeben, die Flaschen verkorkt und versiegelt und so die Flaschen dem Eis übergeben. Die Flaschen enthielten Nachrichten von unserer Expedition und sollen von uns Kunde geben, für den Fall, daß wir zugrunde gehen sollten und kein Mensch mehr was sieht von uns allen Vierundzwanzig.
Johann Haller
[Erster Jäger, Heiler und Hundetreiber der österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition 1872-1874]
[…]
Achtundvierzig Jahre wird es dauern, bis ein norwegischer Robbenschläger die erste der […] Flaschen an der Westküste von Nowaja Semlja finden wird; die in dem Dokument angegebenen Adressaten – die Marinesektion Wien und die kaiserlich-königlichen Konsulate – werden zu dieser Zeit bereits verschwunden sein, die Monarchie aufgelöst und die Expeditionskommandanten längst tot.“ (Christoph Ransmayr: Die Schrecken des Eises und der Finsternis)

(Bild: Serie "Nordpolexpedition von Graf Wilczek" Le Tegetthoff entouré de glaces prés les iles a la nouvelle zemble Phot. Wilhelm Burger um 1872; Bildquelle: courios.at/norpolexpedition.htm)

Dienstag, 8. November 2011

Find your book





(Werbekampagne für Gandhi-Bookstores, Werbeagentur:Ogilvy and Mather,
Bidquelle: mymodernmet.com)

Sonntag, 6. November 2011

Kein Nebenbeimedium


"Das Buch ist kein Nebenbeimedium: Es bindet beim Lesen den wichtigen Gesichtssinn [...] und verlangt wegen der im Buch nicht selten dargestellten komplexen Sachverhalte erhebliche mentale Anstrengungen, Konzentration und Zeitaufwand. Nicht nur diese Eigenschaften charakterisieren das Buch als vergleichsweise schwieriges Medium, sondern auch seine Rezeption: Es erschließt sich [...] nur durchs Lesen." (Artikel "Buch" in "Das BuchMarktBuch")

(Bild: Old man reading by Jim Armstrong)

Mittwoch, 2. November 2011

Eine Schiffsladung Bücher


"Ein Buch also", sagte Fagerlien [...], wandte sich von seinem Gast ab und starrte in den Regen hinaus, "...noch ein Buch; auf jedes Abenteuer entfällt mittlerweile eine Schiffsladung Bücher, eine ganze Bibliothek..."
"Und aus jeder Bibliothek kommt wieder ein Abenteurer", versuchte Mazzini einen bescheidenen Ausfall aus seiner schweigenden und nickenden Zustimmung.
Aber Fagerlien behielt seine Haltung und das letzte Wort: "Oder ein Tourist."

(Christoph Ransmayr - Die Schrecken des Eises und der Finsternis)

(Bildquelle: teachingliteracy.tumblr.com)

Dienstag, 1. November 2011

Gruselett


Gruselett
Christian Morgenstern


Der Flügelflagel gaustert
durchs Wiruwaruwolz,
die rote Fingur plaustert,
und grausig gutzt der Golz.




(Bildquelle: http://womenreading.tumblr.com)